Die Europäische Zentralbank (EZB) hat eine Kurswende vollzogen und senkt erstmals seit fast fünf Jahren die Zinsen. Nach knapp neun Monaten auf Rekordhoch verringerten die Euro-Währungshüter heute den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent. Das teilte die Notenbank in Frankfurt am Main im Anschluss an eine Sitzung des EZB-Rates mit.
Den am Finanzmarkt maßgeblichen Einlagensatz, den Banken für das Parken von Geld bei der Zentralbank erhalten, senkte sie auf 3,75 Prozent von bisher 4,00 Prozent. Zuletzt hatte die Notenbank im September 2019 die Zinsen gesenkt.
Zahlreiche Experten begrüßten das Signal der Währungshüter: "Angesichts der deutlichen Beruhigung des Inflationsgeschehens ist das gerechtfertigt", sagte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. Er wies zugleich darauf hin, dass die EZB bei der Inflationsbekämpfung noch nicht am Ziel sei: "Der Zinsschritt ist auch ein Wechsel auf die Zukunft: Noch ist das Inflationsziel nicht erreicht."
Ähnlich äußerte sich auch Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bankenverbandes BDB: "Preistreiber bleiben die überdurchschnittlich steigenden Löhne im Dienstleistungssektor. Und perspektivisch könnte auch ein fallender Euro-Wechselkurs für steigende Inflation sorgen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die EZB erst gar nicht die Erwartung einer dichten Abfolge von Zinssenkungen aufkommen lässt."
Dessen sind sich auch die Währungshüter bewusst und ließen heute offen, wann es zu weiteren Zinsschritten kommen könnte. "Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest", erklärte die EZB. Stattdessen sendeten sie eher ein Signal, dass auf eine Stagnation der Zinsen in den kommenden Monaten hindeutet - die EZB hat ihre Inflationsprognosen für das laufende Jahr angehoben.
Die Notenbank-Ökonomen um EZB-Präsidentin Christine Lagarde gehen nun für 2024 von einer Teuerungsrate von 2,5 Prozent aus. Noch im März waren sie nur von 2,3 Prozent ausgegangen. Für 2025 rechnen die Volkswirte jetzt mit einer Inflation von 2,2 Prozent (März-Prognose: 2,0). Für 2026 werden nach wie vor 1,9 Prozent erwartet. Damit würde sich die EZB auf Kurs zu ihrem Inflationsziel von zwei Prozent befinden.
Auch Experten wie Friedrich Heinemann vom ZEW Institut betonten die Hartnäckigkeit der Inflation: "Sowohl bei den Löhnen als auch bei der Kerninflation liegen die Raten immer noch deutlich über der Zielmarke der EZB von zwei Prozent. Der EZB-Rat sollte sich jetzt mit vorschnellen Ankündigungen weiterer rascher Zinssenkungen zurückhalten."
Angesichts der sich hartnäckig haltenden Inflation gibt es auch Stimmen, die sich gegen die nun eingeläutete Zinswende aussprechen: "Ich halte es für verfrüht, dass die EZB bereits jetzt ihre Zinsen senkt", so der Chefökonom der Commerzbank, Jörg Krämer. Er verwies dabei auf die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel und die derzeit steigenden Löhne durch neue Tarifabschlüsse. All das könne die EZB von ihrem eigentlichen Ziel einer Inflationsrate von zwei Prozent entfernen.
In der Euro-Zone ist die Inflation noch nicht besiegt. Mit einer Teuerung von zuletzt 2,6 Prozent im Mai liegen Raten von mehr als zehn Prozent wie im Herbst 2022 aber inzwischen weit entfernt. Dazu trugen auch zehn Zinserhöhungen der EZB seit dem Sommer 2022 maßgeblich bei.
Die Notenbank strebt eine Teuerungsrate von 2,0 Prozent als optimales Niveau für die 20-Länder-Gemeinschaft an. Die Zinsen würden so lange wie nötig auf einem die Wirtschaft ausreichend bremsenden Niveau gehalten, um dieses Ziel zu erreichen, stellten die Euro-Wächter in Aussicht. Wie hoch das sei, und wie lange die Sätze auf dem entsprechenden Niveau bleiben müssten, werde von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung entschieden. Den Andeutungen nach ist bei der nächsten Zinssitzung der EZB am 18. Juli nicht mit einer erneuten Senkung zu rechnen.
Mit ihrem Schritt folgt die EZB den Notenbanken Kanadas, der Schweiz und Schwedens, die bereits die Zinsen gesenkt haben. Die einflussreiche US-Notenbank Federal Reserve hält sich bislang noch zurück, weil sich auch die Inflation in den Vereinigten Staaten zuletzt als weiterhin sehr stark erwiesen hat.
Quelle: tagesschau vom 07.06.24